28. August 2002
Der Appell des Schreckens III

Und noch ein etwas längerer Kommentar:

From: katrinlive@aol.com
Date: Tue, 27 Aug 2002 06:37:59 EDT

Hallo Nina, Franziska, Tanja, Barbara, Nicole und Miriam,

zunächst möchte ich festhalten, dass natürlich jedermann das Recht hat einen Appell an den Bundestag oder sonstigen öffentlichen Aufruf zu machen.
Zunächst darf ich auf einen in sich widersprüchlichen "Formfehler" hinweisen, der jedoch nicht ganz ohne Bedeutung ist. Ihr schreibt:

<< Wir, eine Gruppe transsexueller Menschen, ...>>
und führt dann aber inhaltlich aus, dass ihr ja Frauen seid und per gutachterlicher und ärztlicher Genehmigung auch gesetzlich anerkannt Frauen (wieso haben Männer dieses Abgrenzungsproblem eigentlich nicht?).

Euer ganzer Aufruf liest sich für mich wie: "Haben wir es erleiden müssen, dann muss dies auch für andere gut sein." Als ich 1994, und ich war durch andere "leidgeprüfte Transsexuelle" entsprechend auf so einiges eingestellt, zu meinem ersten Gutachter kam und nach dem Prozedere fragte sagte dieser:
"Ob sie transsexuell sind oder nicht kann ich so wie so nicht feststellen. Das einzige was ich feststellen kann ist ob sie in sich stimmig und gesund sind. Ich kann weder sagen ob sie Frau sind noch dies bestätigen. Ich kann aber einer Frau nicht absprechen Frau zu sein, egal wie sie auf die Welt kam."
Das ganze Gespräch dauerte 10 min, das Gutachten war eine Seite lang, die Namernsänderung bekam ich (da auch die zweite Begutachtung ähnlich verlief) praktisch postwendend (Dauer ab Antragstellung 7 Monate, Kosten des ganzen Verfahrens DM 190,-- für alles). Aus der Betreuungsarbeit von seither über 500 Einzelfällen weiß ich, dass mein "Fall" eine traumhafte Ausnahme ist. Ich bin nicht Frau durch die Gutachten, sondern ich bekam die Gutachten weil ich kein Mann bin und die Gesellschaft als Alternative nur "Frau" anbietet.

Ich denke auch, dass ihr euch vor dem Aufruf schlecht informiert habt.
Bereits am 15. August 1996 (2 BvR 1833/95) stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Leitsatz fest:
"Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betrifft dabei seinen Sexualbereich, den das GG als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gestellt hat. Jedermann kann daher von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereiches verlangen. Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren."

Alleine aus diesem Grundsatz des Verfassungsgerichtes ergibt sich bereits die Pflicht das TSG in seiner heutigen Form zu verändern. Ihr habt aber sicher auch andere Informationslücken. Selbst die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (zu der auch Frau Becker/FfM gehört), die in den 90er Jahren die Standards der Begutachtung und Behandlung Transsexueller veröffentlicht hat, stellt fest:
1. Das bisherige Begutachtungsverfahren ist so nicht haltbar. Es werden Dinge bestätigt, die so nicht diagnostiziert werden können, obwohl es eigentlich nicht um eine Diagnose zu gehen hat.
2. Die Verfahren sind kontraproduktiv bezogen auf die Erprobung der Lebbarkeit der eigenen Geschlechtsrolle.
3. Das Verfahren zur Namensänderung muss wesentlich erleichtert und verkürzt werden.
4. eine neues Gesetz sollte in keinem Fall "Transsexuellengesetz" heißen, da dieser Begriff eigentlich von Anfang an falsch war,
5. Das neue Gesetz sollte Transgendergesetz genannt werden.

Ich will auf weitere Fundstellen, aus denen eindeutig hervor geht, dass das TSG mit den Menschenrechten und der Verfassung nicht vereinbar ist hier verzichten (auch im LSVD, der Fraktion Bündnis90/Grüne, Bundesvorstand der SPD, der PDS und medizinischen Kreisen sitzen Leute mit Verstand).

Ich will hier auch nichts wiederholen, was als "Klarstellung" zu eurem Aufruf bereits von anderer Seite kam. Ich hoffe, dass ihr gesund seid, euch am Leben freuen könnt und zustimmt, dass es das Recht anderer Menschen ist es besser und leichter zu haben als ihr es möglicherweise hatte. Jeder Mensch muss die
Verantwortung für sich selbst übernehmen können und dürfen. Das TSG in seiner heutigen Form führt aber zur Entmündigung und verhindert eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung in der eigenen Identität.

Mit dem Gutachten und Gerichtsurteil wedeln und sagen können, "jetzt bin ich Frau, ich habe es ja schwarz auf weiß, ist keine Lösung." (Wie schon am Anfang gesagt, ihr solltet mal darüber nachdenken, warum Männer dieses Problem nicht haben.Ein Gesetz das aber deutlich macht, allen in der Gesellschaft, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als den Blick der Hebamme zwischen die Beine eines Menschen ist dringend überfällig.

In diesem Sinne und in der Hoffnung, dass es möglichst wenige gibt die, egal aus welchem Grunde, euren Aufruf unterstützen verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Helma Katrin Alter, Köln
UB-Vorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Köln
Mitglied der Gesellschaft für Allgemeine Psychotherapie Bonn
Beratungsstelle für Transgender, Köln



Ein PS muß ich da aber doch anbringen:
Es mag extrem selten sein, daß Transmänner solche Positionen vertreten - vorkommen tut das aber auch. In der Preisklasse allerdings gibt es, soweit bekannt, nur einen einzigen - und der ist republikweit dafür bekannt, und immer für ein bisschen Lästern unter TMs gut ;-)
Aber auch unter Transfrauen, das muß man mal sagen, ist das eine recht seltene Position - nur sind die wenigen halt relativ laut.

Posted by alex.here at 28. August 2002 10:50
Kommentare

Sehr geehrte Frau Alter,

herzlichen Dank für Ihre Klarstellung. Die Umsetzung des Appells hätte für viele (künftige) Betroffene gravierende negative Folgen, selbst vom heutigen ohnehin diskussionswürdigen Ausgangspunkt her betrachtet.

Schöne Grüße aus Berlin,

H.-W.Pfeifer

Von: Hans-Werner Pfeifer um 28.08.02 17:28

Wie Du das darstellst Helma, muss auch gewesen sein, Du musst nur noch sagen, dass Dein Gutachter damals blind und taub war - ansonsten versteht es die Welt nicht *g*...

Von: TanjaKr. um 29.08.02 12:37

Sehr geehrter Herr Pfeifer,

Vielen Dank für Ihr Statement. Allerdings finden sich auf dieser Seite gleich *12* Kommentare gegen diesen Appell, davon 4 längere. Ich hoffe, auch die anderen Kommentare finden Ihre Zustimmung.

Übrigens, an Ihrer Stelle würde ich dringend eine Namensänderung beantragen. Sie tragen nämlich den selben Namen wie jemand, der grade an einem Papier mitgearbeitet hat (dem sogenannten MDS-Papier) das das Geschwätz dieses Appells wie ein liberales Sommerlüftchen erscheinen läßt, und dessen Intention nur sein kann, die Transen-Problematik durch "sozialverträgliches Frühableben" zu lösen. Und mit so jemandem möchten Sie doch bestimmt nicht verwechselt werden.

Sollten Sie allerding genau *dieser* Herr Pfeifer sein, muß ich doch mal fragen:
Halten Sie Transgender für so dämlich, daß uns ihre Doppelzüngigkeit nicht auffällt, oder hatten Sie gehofft, es würde uns nicht auffallen, daß neuerdings Richtlinien im Umlauf sind, die die medizinische Behandlung von F64.0 Transsexuellen (andere Menschen sind ja - wie sich die Ideen doch gleichen - auch im MDS-Papier keiner Behandlung würdig) soweit verlängern, und so sehr mit völlig unsinnigen Forderungen erschweren und auch zu verteuern suchen - und zwar für die Trans* selber, nicht nur für die Kassen - daß es nur das Ziel dieser "Richtlinie" sein kann, möglichst viele Transgender in den Suizid zu treiben?

Davon abgesehen, daß diese tollen "Richtlinien" die direkten und indirekten Kosten bei der Behandlung von Transgendern in ungeahnte Höhen treiben. (Also sowohl die Ausgaben für die direkte Behandlung, als auch die für die Behandlung der durch ihre "Richtlinien" ausgelösten psychischen Probleme, Arbeitslosigkeit, eventuell Sozialhilfe, dadurch entgangene Beiträge zu Sozialversicherungen etc.)

Aber eine kommentierte Ausgabe dieser "Richtlinien" ist in Arbeit. Unkommentiert kann man die ja nicht veröffentlichen, wir möchten bei ihrer Aktion zur Steigerung der Rate des sozialverträglichen Frühablebens unter Transgendern nämlich nicht auch noch zu Mittätern werden.

Sollten Sie also tatsächlich *dieser* Herr Pfeifer sein, möchte ich dann hiermit noch mein Bedauern zum Ausdruck bringen, daß ich Ihnen jemals die Hand geschüttelt habe.

Sollten Sie nicht *dieser* Herr Pfeifer sein, bedaure ich, daß ich sie mit dieser Geschichte belästigt habe, und möchte Ihnen nochmal empfehlen, über eine Namensänderung nachzudenken. Ich glaube, Sie verstehen jetzt, warum. Ich denke auch, das würde wegen "wichtigerm Grund" durchgehen.

Mit oder ohne freundliche Grüße - je nachdem

Alex Regh
webmaster www.alexhere.de

Von: alex himself um 29.08.02 13:32
Post a comment
Name:


Email-Adresse:


Homepage:


Kommentar:


Informationen speichern?