28. August 2002
Der Appell des Schreckens IV

Liebe Nina,

Euren Bedenken mag ich mich nicht anschließen.

Der Neuentwurf des "Transgendergesetzes" betont vor allem unser Recht auf Selbstbestimmung und stellt sich einer Bevormundung durch nur scheinbar besser wissende Gutachter und Gerichte sowie eine gewaltsam
"ordnende" Medizin entgegen.

Die Ernsthaftigkeit einer Vornamensänderung ist durch den TrGG-Entwurf nicht in Frage gestellt. Wer klaren Verstandes seinen Vornamen in einen gegengeschlechtlichen ändert und weiß, daß er dies frühestens ein Jahr
später wieder ändern kann ($ 10 TrGG-Entwurf), hat das nicht leichtfertig getan.

Viel mehr als das können die zur Zeit üblichen Gutachten auch nicht feststellen. In seltenen Fällen mögen sie geistig minderbemittelte Menschen vor sich selbst schützen, doch um die scheint Ihr Euch ja weniger Sorgen zu machen als um "Perverse" (OK, den Begriff habt Ihr uns gerade noch erspart ...).

Meine Sorge richtet sich weniger um die Abgrenzung von "sexuellen Spielarten", sondern um die Probleme, die TS/TI in ihrer Umstiegsphase oft über Jahre hinweg haben, teilweise mit der Folge langer Arbeitslosigkeit. Bewerbungen mit ungeklärten Papieren versprechen doch am heutigen Arbeitsmarkt keinerlei Erfolg. Die Vornamensänderung kommt da häufig viel zu spät. Ich halte es für einen großen Fehler, daß es sich so weitgehend eingebürgert hat, Vornamensänderung und OP gleichzeitig zu begutachten. Im Sinne eines realen "Alltagstests" sollte die Vornamensänderung im Sinne §1 TSG nicht so schwer gemacht werden.

Die dahin gehenden Vorschläge im TrGG-Entwurf halte ich für sehr praxisgerecht; sie würden für viele Betroffene einen großen Fortschritt bringen. Viele Monate dauerndes Warten auf überlastete Gerichte hätte
damit endlich ein Ende.


> Die beabsichtigte Aufhebung der geschlechtlichen Bipolarität für
> Transsexuelle findet nicht unseren Zuspruch.

Die "geschlechtliche Bipolarität" existiert überhaupt nur an einer Stelle: Im Gesetz! Dies allen wissenschaftlichen, medizinischen und psychologischen Erkenntnissen zum Trotz, die längst belegen, daß wir es mit einem lediglich künstlich geteilten Kontinuum zu tun haben.

Diese Diskussion könnte man beliebig lange weiterführen, doch ich möchte sie auf die drei für den TrGG-Entwurf entscheidenden Punkte reduzieren:

1. Intersexuelle
Ich halte es für ein elementares Menschenrecht, daß das Recht einem Menschen erlaubt, das zu sein, was er/sie ist. Wenn ein Mensch intersexuell geboren wird, so ist mir dessen körperliche und geistige Unversehrtheit allerdings sehr viel mehr wert als eine säuberlich aufgeräumte "Bipolarität"!

2. Elternschaft nach Vornamensänderung
Hier wird erstmalig eingeführt, daß ein Kind Eltern mit zwei weiblichen bzw. zwei männlichen Vornamen haben kann. Die Forderung ist nur konsequent und dürfte kaum unsere Gesellschaft in ihren "Grundfesten
erschüttern" oder so - dennoch zweifle ich noch an ihrer politischen Durchsetzbarkeit.

3. Personenstandsänderung auch ohne Kastration
§ 12.1 des TrGG-Entwurfs unterscheidet sich von der bisherigen Praxis vor allem dadurch, daß für die Feststellung der geänderten Geschlechtszugehörigkeit kein Gutachten und keine Operation, die zur Unfruchtbarkeit führt, gefordert werden.

Konservative mögen hier vielleicht noch ein Gutachten fordern, wie bisher üblich. Das hielte ich für vertretbar.

Und ja, dieser Entwurf macht z.B. die theoretische "Horrorvision" möglich, daß der männliche Triebtäter nach geänderten Vornamen mit juristisch weiblicher Geschlechtszugehörigkeit im Frauenknast sein
Unwesen treibt.

Meinetwegen können die Juristen dafür noch weitere, abgrenzende Klauseln erfinden. Mit dem wirklichen Leben hat das allerdings wenig zu tun. Da denke ich gerade eher an einen (mir bekannten) Transmann, der sich aus gut begründeten medizinischen Bedenken heraus nicht der Entfernung seiner Eierstöcke unterziehen will. Er ist im öffentlichen Dienst und muß dienstlich gelegentlich in öffentlichen Badeanstalten schwimmen
gehen. Da sein Personenstand nicht geändert ist, muß er, der durchtrainierte Muskelmann, sich mit den Damen umkleiden und (zur allseitigen Belustigung!) im Badeanzug erscheinen. Völlig absurd, daß er von seinem Arbeitgeber immer noch als Frau behandelt werden *muß*.

Das bisherige Gesetz zwingt ihn dazu, dies weiterhin zu ertragen, wenn er nicht seinen Job aufgeben will oder er sich medizinischen Prozeduren unterwirft, die seinen Körper beschädigen.

Ist denn nur eine gründlich operierte Transe eine gute Transe? Sollten wir uns nicht langsam von dem Diktat der Medizin lösen? Die Grenzen ihrer Möglichkeiten haben doch viel zu viele von uns schon am eigenen Leib erfahren.

Stimmt, dann entstehen so "peinliche" Zwischenformen. Doch das Leben ist leider nicht immer so einfach strukturiert, wie es sich die Theorie wünschen mag. Das Gesetz muß der Lebenswirklichkeit gerecht werden und nicht theoretischen Idealvorstellungen. Das hindert Einzelne ja nicht daran, sich eindeutig so zu positionieren, wie sie das für richtig halten!

Wenn ich mir die aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS zum Thema ansehe -
http://www.transsexuell.de/nrw/recht-bundestag0208.pdf
dann mag ich allerdings sowieso nicht mehr daran glauben, daß bald ein politischer Konsens für eine Gesetzesänderung gefunden werden könnte.

Insofern können wir dann vielleicht bald schon alle miteinander froh sein, daß wir wenigstens noch das gute alte TSG haben ... :-/

Na gut, so viel dazu für heute.
Bitte versteh' dies nun erst einmal als Diskussionsbeitrag von mir und noch nicht als abschließende Stellungnahme zu den Entwürfen.

Liebe Grüße,
Airin
AG Transsexualität NRW: http://transsexuell.de/nrw/

Posted by alex.here at 28. August 2002 13:55
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