11. September 2002
Die Greterich-Frage

Es gab die hier eingestellten Debatten und Statements zum Thema "Richtige Transsexuelle vs. Perverse und so". Es gab kiloweise ähnliche Debatten ohne Ende. Und eines habe ich nie so recht verstanden ... warum ist da der Unterschied zwischen Transmännern und Transfrauen mal wieder so extrem groß?
Vielleicht als Vorbemerkung, ehe etwas mißverstanden wird: Was ich unten beschreibe, sind Tendenzen. Wie stark sich diese auf Einzelne auswirken, ist immer eine individuelle Sache. Folglich ist es auch eine sehr individuelle Sache, ob eine Transfrau zu der Über-Transsexuellen-Fraktion gerechnet werden muß, eine Leben-und-Leben-lassen-TS ist, oder eine der anderen möglichen Positionen zu sich selber und zu anderen einnimmt - und derer gibt es viele. Gleichfalls mögen Transmänner meistens sozialkompatibler erzogen worden sein; aber auch das hat weder in allen Fällen funktioniert, noch ist dies unter allen Umständen vorteilhaft.

  Aber woher kommt dieser Unterschied zwischen Transmännern und Transfrauen?
 Also, im Prinzip laufen die ganzen Formalien, einschließlich Diagnose und Gutachten, bei Transmännern ja nicht anders ab als bei Transfrauen, und auch für Transmänner gilt das TSG. Auch ein früher häufiger auftretendes Phänomen, nämlich daß Transmänner es schafften, das ganze Procedere durchzuziehen, ohne auch nur einmal bei einem der bekannten Trans-Fachleute zu landen, ist mittlerweile sehr selten geworden. Da kann es also nicht dran liegen.
 Es kann auch kaum daran liegen, daß die einen Testo bekommen, und die anderen Östro. Dann müßten sich die Ansichten prä- und post-Hormone ja unterscheiden. Tun sie aber eher selten.
 An den OPs kann's auch nicht liegen - zwar haben die meisten Verfechterinnen der "Rechte nur für F64.0"-Fraktion die GA, aber die haben auch viele, die nicht wirklich so etwas vertreten würden.
Außerdem gibt's auch sogenannte "Transgenderisten". (Zum Glück eher in den USA, bis jetzt ist das wohl noch nicht übergeschwappt. Möge es so bleiben.) Das sind Transgender, auch mal wieder bloß Transfrauen, die die Geschlechtsrolle gewechselt haben, oft auch nicht das Geringste mit "schrill" oder "bunt" zu tun haben, Hormone bekommen, oft auch die Epilation haben oder einen Brustaufbau, aber keine GA. Die vertreten dann die These, daß jede/r Trans*, der/die die GA machen läßt, irgendwie geistig minderbemittelt, auf's Patriarchat reingefallen oder sonstwas wäre. Also dasselbe in Grün wie die Über-TS-Fraktion, nur umgekehrt.
 Also, aus der Richtung ist es wohl nix.


Gibt's denn dann ähnliche Argumentationsführungen anderswo?
 Spontan fällt mir da genau ein Beispiel ein: Unter Schwulen gibt es eine ebenfalls nicht sehr große - und da auch nicht sehr laute - Minderheit, die genau so argumentiert! Eiguckemol.
 Was da die Sache und die "Argumente" sind? Na ja, es gibt doch ganz viele ganz normale Schwule, nicht wahr, die ganz normal sein wollen, und nur dieses ganz ganz kleine bischen anders als alle anderen Menschen. Und davon regen sich einige pünklich wie die Eieruhr zu jeden CSD und zu jeder schwulen (oder schwul-lesbischen, oder queeren etc) Veranstaltung auf, daß diese bösen bösen schrillen Schwulen, sei es nun die Federboa- oder die Lederfraktion, irgendwie ihren guten Ruf bei ihren Nachbarn gefährden würden, weil die Nachbarn ja dann alle Schwulen, auch die gaaanz anständigen und normalen, nicht wahr, für sowas komisches Schrilles halten müssen. (Und da ist derselbe dämliche Denkfehler drinne: Die Nachbarn sehen jeden Tag, daß die nicht mit der Federboa rumrennen, da braucht man sich gar nicht von FederboaträgerInnen zu distanzieren!)

Sollte an dieser Stelle irgendein debiler Idiot, ob mit oder ohne Professoren-, Doktor-, Dipl.-Psych.- oder sonstigem Titel auf die Idee kommen, das als "Beleg" dafür ranziehen zu wollen, daß es sich bei transsexuellen Frauen ja doch nur um Schwule mit einem Coming-Out-Problem handelt, möchte ich entgegnen, daß das genausogut ein Beweis dafür ist, daß Schwule ja nur Transsexuelle sind mit einem Coming-Out-Problem. Entweder das, oder wir haben wie meistens mal wieder einen Meter zu kurz gedacht!

 Also, für die weniger debilen Zeitgenossen, wir haben ein Problem: Die Über-Transsexuellen-Fraktion steht Schwulen (auch den "ganz normalen") ja mit der selben Toleranz und Freundlichkeit gegenüber wie den nicht-F64.0-Transgendern und überhaupt allem, womit sie jemals von irgendeinem eher marginal informieren Zeitgenossen in einen Topf geworfen werden könnten. Umgekehrt hat die "Hach, was bin ich doch normal" -Schwesternfraktion auch nicht mehr Symphatien übrig für Trans(wasauchimmer) aller Art, weil die generell des Federboatragens verdächtigt werden (und kein Gerichtsurteil oder Gutachten und keine OP der Welt wird daran was ändern). Und das schadet bekanntlich ja dem eigenen guten Ruf, deswegen sollte man das ja auch verbieten.

 Also, was haben diese beiden charmanten Gruppen gemeinsam?
Die Geschlechtsidentität offensichtlich nicht. Die sexuellen Präferenzen aber auch nicht unbedingt; weil nur die Über-Transsexuellen Heterosexualität als Beweis für "echtes Frau-Sein" verlangen, die selber zufällig auf Männer stehen. Über-TS, die auf Frauen stehen, verzichten aus naheliegenden Gründen auf dieses Kriterium.
 Es wäre natürlich möglich, daß das eine jener fürchterlichen Krankheiten ist, die auf dem Y-Chromosom liegen, aber dann müßten mehr Cis-Heteros davon betroffen sein. Bei denen würde mir im Moment aber nix einfallen, wo die so reagieren. Da mögen viele nicht grade Schwulen-Fans sein, aber das scheint ja auch so langsam entscheiden nachzulassen, die (ehemals?) allgemeine Homophobie.

 Ja, dann bliebe wohl nur noch eins: Die Vertreter beider Gruppen sind als Jungen aufgezogen worden, und haben irgendwann gegen essentielle Regeln für "Mann-Sein" grundlegend verstoßen - und das ohne eigene Verantwortung. (Also, Pullover-strickender Hausmann wird man(n), schwul oder trans* ist man (oder frau, je nachdem).)
 Transmänner und Lesben haben zwar in der selben elementaren Weise gegen die Regeln des "Frau-Seins" verstoßen - aber sie haben ein anderes Handicap nicht - "Frauen" sind eh nicht NORMal, denn die NORM ist immer noch männlich. Das würde dann die ausgesprochen geringe Anzahl von Transmännern erklären, die an sowas partizipieren. (Ich würde ja gerne sagen, es gibt gar keinen - aber da ist noch Fritze...)

 Dieses Kreuz der NORMalität bleibt also Männern vorbehalten, bzw. denen, die mal Männer hätten werden sollen. Und das trifft dann ja erstmal auch für Transfrauen zu. Insofern werde ich mir mal erlauben, in den nächsten Absätzen (spätere) Transfrauen mitzumeinen, wenn ich "Jungen" sage oder "Männer".

  Was also tut man vielen armen "Jungen" an, daß sie so dermaßen identitätsverunsichert werden?
  Was Männer gemeinhin tun, sagen oder denken, gilt als die Norm. Nur ist des Pudels Kern hier nicht das Wort Männer, und auch nicht Norm. Des Pudels Kern ist das Wort gemeinhin. Hält sich ein "Mann" oder ein "Junge" daran, gibts Zuckerbrot; die berühmten männlichen Privilegien. Nur, wehe dem armen "Mann" oder "Jungen", der sich nicht dran hält. Bei "Mädchen" schüttelt man meist - mindestens bis zur Pubertät - höchstens mit dem Kopf und sagt, das werde sich noch rauswachsen. (Und bis dahin haben die meisten dann genug Selbstbewußsein aufgebaut, daß es ihnen dann auch egal ist. In der Pubertät eh.) "Jungen" hingegen bekommen gleich eine ganze Latte an sozialen Sanktionen zu spüren. Ein "Mädchen" bleibt ein Mädchen, auch wenn es sich nicht "so" benimmt. Ein "Junge", der gegen die entsprechenden Konventionen verstößt, ist nicht nur kein Junge mehr. Der ist dann gar nichts mehr.
  "Jungen" und später auch Männer, die sich an die Konventionen halten, haben also wesentlich mehr zu gewinnen als Mädchen, und auch wesentlich mehr zu verlieren, wenn sie es nicht tun. Jedenfalls dann, wenn sie letztendlich auf Reaktionen von außen angewiesen sind, um selber zu fühlen, was sie sind. Und genau darauf werden "Jungen" gedrillt, damit das mit der "Normalität" auch funktioniert. Denn sich auf sich selber verlassen, und auf das eigene Gefühl, muß man ja erst lernen, was nicht erwünscht ist. Und warum sollte man dann, wenn man dadurch (erstmal) nichts gewinnen kann, aber vieles verlieren?

  Mädchen und Frauen hingegen sind ohnehin nicht "normal". Was sie tun, ist immer eine Abweichung, alleine schon dadurch, daß sie "Mädchen" sind. "Mädchen" bekommen (mindestens seit 30 Jahren jedenfalls, früher war das umgekehrt) viele verschieden Frauenbilder präsentiert. (Die Möglichkeiten für Männer sind entschieden enger. Glaubt's mir, ich weiß, wovon ich rede.) Und da sie von vorneherein zu mehr Empathie erzogen werde, begreifen sie auch schneller, daß sie zwar nie alle möglichen Ansprüche erfüllen können, die an sie gestellt werden, aber sich zwischen vielen Möglichkeiten entscheiden können, ohne den Status als "Mädchen" oder "Frau" zu verlieren; und den Status "gar nichts mehr" bekommen "Mädchen" ohnehin so gut wie nie zugewiesen. Sie sind nicht NORMal, und auf gewissen Rangskalen (aber auch nicht allen) mögen sie weiter unten stehen als "richtige Männer", aber sie fallen eben nicht gänzlich raus.

  Übrigens hat diese NORMalität bei vielen Transfrauen noch einen anderen Nebeneffekt: Nämlich den, daß Transmänner im Weltbild vieler Transfrauen überhaupt nicht existieren. Das geht so weit, daß manche sogar regelrecht sauer werden, wenn sie darauf hingewiesen werden, daß ein Satz wie: "Alle Transsexuellen wollen doch nur als Frauen anerkannt werden." nicht so recht stimmt. Das will nur die eine Hälfte. Es sei ihnen schließlich nicht zuzumuten, kommt dann auf Einwände, immer an "andere" mitzudenken, mit denen man sich eh nicht identifizieren könne. Komisch nur, daß Transmänner das selbe Problem nicht haben. Ich habe noch nie einen Transmann erlebt, der überhaupt daran dachte, einen Satz wie: "Alle Transsexuellen wollen doch nur als Männer anerkannt werden." äußerte. Es passiert einfach nicht. Und die meisten Transmänner erwähnen, wenn sie über Trans* mit anderen sprechen, wenigstens mal Transfrauen, und daß da vieles anders ist. Sie denken einfach dran. So haben manche angeblichen Nachteile auch definitiv ihre Vorteile. Schließlich bedeutet sich einen Bart wachsen zu lassen nicht, daß man deswegen auch zwangsläufig zu einem unsensiblen Rüpel mutieren muß.

 Aber was passiert jetzt, wenn sich ein "Junge" oder "Mann" für einen Geschlechtsrollenwechsel entscheidet?
Er verliert meist erstmal, und zwar auf der ganzen Linie, und zwar um so mehr, je mehr "er" früher diese Normen übernommen hat, und also Anerkennung und Erfolg durch seine NORMalität bekommen hat; und je weniger sein Selbstwertgefühl auf eigenen Maßstäben beruhte.
  Wer also sein Selbstwertgefühl als "Mann" daraus bezog, daß "er" nach Aussagen seiner Umwelt ein "richtiger Mann" sei, wird nach dem Wechsel leicht in Versuchung kommen, genau das selbe zu versuchen, um die Anerkennung als Frau, die sie ja noch viel dringlicher ersehnt, zu bekommen. Das gilt erst recht, wenn ihr mit dem sozialen Wechsel auch noch andere stabilisierende Faktoren abhanden kommen, wie Familie, Freunde oder Arbeit. Und auch dafür ist das Risiko bei Transfrauen größer.
  Alternativ kann "er" früher eben diese Anerkennung vermisst haben, weil es "ihm" eben nicht gelang, diese Anforderungen zu erfüllen. Dann will sie sie jetzt aber erst recht haben, schließlich ist das Problem ja jetzt benannt und wird durch OP und Gerichtsurteil gelöst. (So die offizielle Version, an die zu glauben nicht nur äußerst verlockend ist, sondern auch wesentlich einfacher, als sich selber eine Meinung zu bilden.)

  Das bedeutet, daß solche Transfrauen versuchen werden, dem Bild einer "richtigen Frau" soweit als möglich zu entsprechen, um das Feedback zu bekommen, das sie zur Bestätigung ihrer Weiblichkeit benötigen, wie sie das Feedback ja auch benötigten oder benötigt hätten, um sich als "Mann" oder wenigstens "in der männlichen Rolle" fühlen zu können. Diese Sache hat nur einen ganz entschiedenen Haken:
   Es gibt nicht das allgemein anerkannte Bild einer "richtigen Frau".
 Und anstatt diese Freiheit zu geniessen, und sich das beste aus allen Möglichkeiten rauszusuchen, versetzt das viele Transfrauen in Angst, und einige in Panik. Dann wird aus einer Menge unrekflektierter Ideen das richtige Bild einer richtigen Frau postuliert, und dieses Bild wird mit aller Macht versucht zu erreichen. Das Problem mit dem Bild ist nur leider meistens, daß es eben aus unreflektierten Versatzstücken besteht, die oft weder zusammen- noch zu dieser Person passen. Und, nicht weniger gewichtig, daß diesem Bild meistens wichtige Teile fehlen.
 Wenn es nur die Optik wäre, die an dem Bild nicht stimmt, wäre das schon schlimm genug. Aus den meisten Transfrauen bekommt kein Chirurg, keine Boutique und kein Make-Up der Welt eine Claudia Schiffer gezimmert. Das wäre nicht so schlimm, denn auch Cisfrauen sehen eher selten aus wie Claudia Schiffer. Selbst Claudia Schiffer sieht um 7 Uhr morgens nicht aus wie Claudia Schiffer. Aber die eine oder andere Transfrau läßt eine OP nach der anderen über sich ergehen, oder hat ganze Kleiderschränke voll mit Sachen, die sie irgendwie mit "Weiblichkeit" verbindet, weil sie sich nicht vorstellen kann, als Frau eben nicht so auszusehen wie ihr Traumbild. Aber zum Glück kommt zu so einem Äußeren meistens soviel Feedback, daß die schlimmsten Exzesse irgendwann der Vergangenheit angehören. Leider nur meistens; respektive sind manche Transfrauen auf dem Ohr auch taub. Schließlich wissen sie, wie eine richtige Frau aussieht!
 Aber schlimmer als die Optik sind ganze Lebensentwürfe, die nicht hinkommen. Wie viele Transfrauen stehen im Beruf, meistens nicht unbedingt ein typischer Frauenberuf (sind eh zu schlecht bezahlt), eigentlich mögen sie ihren Beruf auch, auch ihre Job und ihre Kollegen und alles. Trotzdem jammern sie immer wieder, daß sie lieber eine "richtige Frau" wären, die das Haus in Ordung hält und für ihren Mann sorgt. An denen ist eindeutig vorbeigegangen, daß "Heimchen am Herd" nicht mehr so unbedingt als das Rollenmodell für Frauen gilt. Außerdem ist das ein ziemlich langweiliger Job. Auch wenn es genug Cismänner gibt, die nichts als verzogene Rotzbengel sind, ist aus der Versorgung eines solchen, auch einschließlich Wohnung oder Haus, kaum ein Vollzeitjob zu machen. Würden diese Transfrauen das jemals bekommen, wovon sie glaube, es sich zu wünschen, würden sie nach vier Wochen wieder das Jammern anfangen - dann aber richtig, und mit richtig gutem Grund.

Aber so schlimm diese seltsamen unreflektieren Versatzstücke sind, meistens schneiden sich die Transfrauen damit nur ins eigene Fleisch. Schlimmer sind die fehlenden Teile:
 Es unterscheidet sich das durchschnittliche weibliche vom durchschnittlichen männlichen Sozialverhalten doch ganz beträchtlich. Da das aber einerseits nichts ist, was man anfassen kann, und andererseits, wie bereits gesagt, "Männer" eben nicht darauf gedrillt werden, Kritik am Sozialverhalten überhaupt zu erkennen, eben weil "Männlichkeit" an Äußerlichkeiten gemessen wird, fällt manchen Transfrauen nicht einmal auf, daß und wo eine gewisse Diskrepanz vorliegt zwischen ihrem Verhalten und dem, was von Frauen erwartet wird. (Etwas gänzlich anders ist es übrigens, wenn eine Transfrau zwar den Unterschied zwischen einem "männlichen" und einem "weiblichen" Verhalten in einer bestimmten Situation kennt, sich aber für das "männliche" entscheidet. Das tun auch Cisfrauen häufig.)
 Wenn man diese Diskrepanz schlicht nicht wahrnimmt, und automatisch schon deswegen, weil man schließlich jetzt so ausschaut, vielleicht auch so heißt oder wenigstens ein paar "offizielle" Bestätigungen in der Tasche hat, annimmt, daß jegliches Verhalten, das man an den Tag lege, "weiblich" sei und auch so wirke (früher hatte das ja weitestgehend auch so funktioniert, oder hätte es wenigstens sollen), wird man dann meist sehr unangenehm überrascht. "Wenn du mich jetzt nicht endlich wie eine Dame behandelst, haue ich dir einen in die Fresse!" führt nicht wirklich zu einer Anerkennung als Frau. (Ist übrigens ein wirkliches, echtes Zitat - wenn auch von einem recht extrem - ähm, sagen wir mal, intellektuell herausgeforderten Fall.) Das funktioniert auch nicht, wenn man es etwas dezenter formuliert.

  An dieser Stelle gibt es Transfrauen, die merken, daß da irgendwas nicht stimmt, und nochmal zurück ans Reißbrett gehen. (Bis dahin sind ohnehin schon lange nicht alle gekommen!) Aber nicht alle.
 Manche begreifen es anscheinend nie. Und bei denen muß man sich dann noch einmal verdeutlichen, was da zusammenkommt:

  • Ein ernsthaftes Defizit an Empathie, zum einen anerzogen, und zum zweiten wohl häufig auch in mangelndem Selbstwertgefühl begründet.
  • Ein unreflektiert zustande gekommenes Frauenbild, das selten positives Feedback produziert.
  • Ein Sozialverhalten und Reaktionsmuster, die dito nicht eben für positives Feedback sorgt.
  • Und natürlich das bei jedem Menschen vorhandene Bedürfniss nach positivem Feedback.

Eine reaktionsfreudige Mischung ...

 An dieser Stelle wäre es wohl sinnvoll, darzulegen, auf welche klassisch "männlichen" Reaktionsmuster da meiner Erfahrung nach zurückgegriffen wird (meist weil das Vorhandensein von "weiblichen" oder auch nur anderen Reaktionsmuster schlicht unbekannt ist):

  • Schuld ist immer jemand anders
    Die angebliche männliche Vorliebe, Verantwortung zu übernehmen, hat eindeutig ihre Grenzen - spätestens wenn etwas schiefgeht. Frauen hingegen neigen dazu, Verantwortung auch dann zu übernehmen, wenn beim besten Willen nicht einzusehen ist, warum.
    Die Standardzutat für dysfunktionale Familien.
  • Was NORMal ist, bestimme ich
    Schließlich war ich früher "Standard", dann muß ich es auch heute noch sein. Oder: Früher war ich es nicht, dann will ich es jetzt endlich sein.
  • Unnormale Menschen haben keine Rechte
    Wenn man gar nichts ist, wenn man kein "richtiger Mann" ist, ist man auch gar nichts, wenn man keine "richtige Frau" ist. Und überhaupt, alle anderen finden das ja (angeblich) auch.
  • Wer am lautesten brüllt und/oder die meisten Verbalinjurien in einem Satz unterbringt, hat gewonnen
  • Wer nicht für ist, ist gegen mich
  • Was ich jetzt sage, gilt.
    Wer mich an Widersprüche zu anderen Aussagen von mir erinnert, ist gegen mich.

Was daraus folgt: Wenn eine solche Transfrau ein Problem hat, ist es irgend jemand anders schuld. Immer. Fragt sich nur, wer. Wen nehmen wir denn da ...? Und so sitzt sie da und überlegt:

Andere Transfrauen schlüge zu schnell auf mich selbst zurück. Cisgender, Frauen wie Männer, sind auch nicht gut, weil von denen möchte ich ja Anerkennung. Transmänner existieren eh nicht, und außerdem ist da eine Schuld wirklich beim besten Willen nicht hinzubiegen. Bleibt nicht viel. Oder doch? ...
Da sind doch noch die Leute, die keine richtigen Männer sind (und somit ja eh Freiwild) und natürlich, da anders als ich, auch keine richtigen Frauen. Dieses Pack, mit dem man mich entweder früher glattwegs verwechselt hat (oder ich mich selber, aber das verdrängen wir besser) und von dem ich mich zwecks der Bescheinigung meiner Identität ja auch distanzieren mußte ... Hach, sind das nicht die idealen Opfer? Die hasst doch sowieso jeder! Diese ganzen perversen Schwuchteln und Tunten und Transvestiten und neuerdings auch noch Transgender, was immer das sein soll.
KLATSCH PATSCH DRAUGEHAUEN!
Und jetzt geht es mit besser, und nun werden mich endlich auch die anderen als ganz normale Frau anerkennen, weil da habe ich ja jetzt den endgültigen, schlüssigen Beweis für geliefert: Erstens sieht man, daß ich eine Frau bin, zweitens habe ich dafür Bescheinigungen, und drittens habe ich mich doch grade hinreichend von denen distanziert, mit denen man mich irgendwie beim Bestehen irgendwelcher Zweifel verwechseln hätte können.

  Schade nur, daß das nicht funktioniert. Unter (Cis-)Männern - und nur unter (Cis-)Männer - mag sowas funktionieren. Da mag es auch zum akzeptablen Verhalten gehören, jemanden zu verdreschen, wenn man sich grade schlecht fühlt. (Wenngleich das auch eine aussterbende Art ist, die keiner vermissen wird.)
  Nur leider funktioniert genau das bei Frauen eben nicht. Das liegt zum einen daran, daß von Frauen nicht erwartet wird, und meist auch nicht gutgeheissen, wenn Distanzierungen allzu heftig ausfallen. Nicht ohne Grund sind die Lesben, die eine ähnliche Ausgrenzungsmanie pflegen (die einzige Gruppe Cisfrauen, die diesen Stil pflegt), weder bei anderen Lesben (der Mehrheit), noch bei Schwulen, und erst recht nicht bei Stinos beliebt. Letztere nennen solche Lesben (oder gleich, pars pro toto, alle Lesben) Mannweiber. Was zwar Quark ist, aber eben zeigt, daß gewisse Verhaltensmuster bei Frauen eindeutig "unweiblich" wirken. Zum anderen passt der Stil überhaupt nicht in das gesamte Muster, was "Mädchen" anerzogen bekommen, und zwar so wenig, daß es großer Anstregungen bedarf, um so etwas als Frau überhaupt zu können. (Mir fällt auch nach längerem Nachdenken kein Beispiel ein.) Man mag sich über den Sinn und Wert solcher Zuordnungen streiten, sollte sie aber kennen, wenn man auf diese Art unbedingt seine Weiblichkeit beweisen möchte. Der Schuß geht dann nämlich nach hinten los.

 Und es nützt auch bei denen nichts, die potentiell dumm oder uniformiert genug sind, Schwule, Tunten, TVs und TS nicht auseinanderhalten zu können. Denn die überzeugen (mehr oder weniger) weibliches Aussehen genausowenig wie irgendwelche Papiere. Vor allem die Überzeugungskraft irgendwelcher Bescheinigungen, Gutachten und Gerichtsurteile wird meist stark überschätzt, denn die Leute haben es nicht mit Bescheinigungen, Gutachten und Gerichtsurteilen zu tun, sondern mit Menschen. Die müssen überzeugen. Und da sind klassisch männliche Rüpelmanieren ein eher ungeeingetes Werkzeug, von der eigenen Weiblichkeit zu überzeugen. Für irgendwelche geschlechtsangleichenden Eingriffe gilt übrigens das selbe. In Anbetracht der Tatsache, daß der durchschnittliche Mensch Genitalien aller Art eher selten zu sehen bekommt, bedeuten die für ein Urteil für die meisten Menschen relativ wenig; und dem durchschnittliche Mensch ist auch bekannt, daß es Genitalien in allen Variationen gibt (She-Males dürften die bekannteste Variante sein, ob es einem gefällt oder nicht). Also wieso bitteschön sollten ihn die Genitalien von etwas überzeugen, wovon der Rest nicht überzeugen kann?

  Die ganze schöne Distanzierungsarbeit ist also letztendlich für die Katz'. Und frau mag sich für eine kurze Weile besser fühlen, wenn sie es "diesen Perversen" mal wieder richtig gezeigt hat. Mehr bringt das aber auch nicht. Es bringt nicht einmal Freunde, die genauso denken. Denn diese Freundschaften - wie schon x-mal gesehen - halten selten lange. Denn unweigerlich bricht der Krieg aus, wer denn nun die wirklichste (Trans-)Frau ist. Und das kann nur eine sein. Was immer sie davon hat.


Ich habe in diesem Text einen Aspekt nur ganz am Rande gestreift - den Einfluß, den die Meinungen von "Experten" haben auf das Selbstbild und dessen notwendige Entwicklung während des sozialen Wechsels, sowie auf Entscheidungen sowohl bezüglich des eigenen Weges als auch von sozialen und politischen Aktivitäten.
Dieser ist aber, obwohl er in diesen Fällen einiges zu den geschilderten Reaktionen beitragen dürfte, ein eigenes Feld, das an an anderer Stelle bearbeitet werden sollte.

Posted by alex.here at 11. September 2002 0:36
Kommentare

Hi Alex!

Hui, da hast Du ja Thesen aufgestellt, bei denen es sich wirklich lohnt, darüber in einem größeren Rahmen zu diskutieren. Wie wäre es wenn Du es mal in den einschlägigen Foren und MLs herumgehen lässt? Ich denke, es würde sich lohnen, gerade wenn ich an den Diskussionsstil zum Thema TSG vs. TrGG-Entwurf denke.

Liebe Grüße,
Tricia

Von: Tricia um 18.09.02 12:04

Hallo Alex,

danke für diesen sehr ausführlichen Artikel. Ich finde den Artikel sehr interessant und auch recht gut erfahrungsbasiert zum Thema. Deine Ausführungen kann ich zu, naja sagen wir mal 99% nachvollziehen und für viele Mitmenschen, besonders im "Transfrauen-Lager" (igitt, wie hässlich, dieser Begriff... gleich wieder vergessen!), bestätigen.

Dein Artikel beschreibt somit ziemlich trefflich auch die "Kultur der Weiblichkeit", eben das was eine Frau eigentlich ausmacht.

Klar spielen die sichtbaren Geschlechtsorgane erstmal eine untergeordnete Rolle, wie ich oder wie andere wahrgenommen werden. Dennoch spielen sie eben eine wichtige Rolle, sonst würde ja bei der Geburt nicht zwischen die Beine geguckt und fortan unterschieden werden, verschieden erzogen, verschieden sozialisiert werden. Ich spreche niemandem ab, seine Geschlechtsorgane nach einer wie auch immer verlaufenen Transition zu "behalten". Ich werde "solche" Mitmenschen genauso akzeptieren, wie andere auch.

Jedoch habe ich Akzeptanzprobleme, wenn mir eine Frau gegenübertritt, deren Verhalten auf einen 100%igen Mann schließen lässt (wie von Dir oben beschrieben, die Draufhau-Fraktion), oder wenn mir eine Frau nackt gegenüber tritt, die unten das gewisse Etwas noch dran hat und das nach männlicher Manier gut findet, wenn das also auch irgendwie vom Verhalten her männlich rüberkommt.

Wenn es nun also darum geht, vor dem Gesetz Männlein und Weiblein zu unterscheiden, finde ich nach wie vor, dass eben ein Schniedel nicht zum Weiblein gehört.

Umgekehrt muss ein Schniedel aber nicht zum Männlein gehören (er könnte ja auch durch einen Motorrad-Unfall z.B. verloren gegangen sein, das hat es schon gegeben) ...

Hmm... vielleicht hab ich jetzt den Sachverhalt mal passender dargelegt .. viel zu kurz natürlich, weil in so ein paar Sätzen kann man das Thema ja gar nicht abhaken, ein Live-Gespräch wäre da sicher zuträglicher und würde so manche Differenzen ausräumen.

Na denn mal, max mal gut!
Sonja.

Von: Sonja_N um 01.10.02 11:49

Hi Alex wieder einmal genüsslich zu lesen was du so von dir gibst.
Du nimmst jedem aber auch jeder ihre so engstirnige Identität. Pflückt sie auseinander um sie jedoch hintergher wieder zusammenzufügen.
Du weißt, ich gehöre zu den 100% Frauen, die aber sagen, leben und leben lassen.Seid wir uns kennengelernt haben (du warst mein erster bewusst wahrgenommener TransMan, hat sich meine Sichtweise verändert.
Schon sind wir beim Kernproblem, immer wenn ich mein Denken und Fühlen als die alleing richtige halte, werde ich platt, flach, blind, intolerant.
Also Augen auf und hinterfragen, denken und wissen es gibt soviele Facetten in unserem Leben.
In Jedem Bereich.
Danke für diesen schönen Artikel, hat mich wirklich gefreut...
Bis dann und tausend liebe Grüße
Sylvia-Fee Wadehn

Von: Sylvia-Fee Wadehn um 23.03.03 12:21
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