25. September 2002
Appell - Der Gegen-Appell

Der Vollständigkeit halber (und ich denke, damit ist das Thema Appell erstmal abgehakt):
Als Reaktion auf den Appell des Schreckens (der übrigens mit der phänomenalen Zahl von 16 Unterschriften bis zum Abgabetermin am 4.9.02 aufwarten konnte) verfasste Charis Bergern einen Gegen-Appell. Da dieser im Web nicht ganz leicht zu finden ist, veröffentliche ich ihn ebenfalls hier.


TransGenderlLife
Charis Berger
Postfach 86 08 08
D - 81 635 München
Handy: [Von Alex vorsichtshalber gestrichen, kann per Mail erfragt werden.]
e-Mail: transgenderlife@gmx.de
Internet: www.transgenderlife.de am 5. Sept. 2002

TransGenderlife
Postfach 86 08 08
D - 81 635 München

Offener Brief per eMail an:
Fraktionen des Deutschen Bundestages
Bundesministerin für Justiz, Frau Dr. Deubler-Gmelin
Zentralbüros aller im Bundestag vertretenen Parteien
Queer-Arbeitsgemeinschaft der Gewerkschaft Ver.di
Vorstand LSVD
Vereinigungen und Institutionen in TransGender-Land
Presse (Print, Funk und Fernsehen)
alle Bezieher des TransGenderLife-ABO-Newsletters


Sehr geehrte Empfänger/Innen,
sehr geehrte Politiker/Innen aller Parteien,
sehr geehrte Journalisten/Innen !

Vor einigen Tagen ging durchs Internet ein "Appell an die Politik", ausgesandt von einer KLEINEN GRUPPE einzelner TransIdenten/Innen. Dieser Appell ist verbunden mit einer Unterschriften-Aktion und strebt nach einer Aufschiebung der Neufassung eines TransGender-Gesetzes. Dem Inhalt des Appells ist heftig zu widersprechen.
Eine heftige Diskussion im Internet (yahoogroups) hat inzwischen gezeigt, dass der o.g. Appell defintiv nur die Meinung eienr KLEINEN Minderheit darstellt und allseits auf umfassende Ablehnung trifft

Daher ganz im Gegenteil: Wir appellieren mit grossem Nachdruck an Sie alle, mit Initiative und Einsatz ab Beginn der neuen Legislatur-Periode auf die SCHNELLE Verabschiedung eines neuen TransGender-Gesetzes hinzuwirken.

Hinter dem o.g. Appell steht eine kleine Gruppe von TransIdentInnen, die sich bedauerlicherweise bereits mehrfach durch bedauerlichen Mangel an Toleranz und durch wenig solidarische Standpunkte hervorgetan haben. Es kann und darf nicht angehen, dass sich im Bereich der TransGender-Minderheit eine kleine "Minderheit in der Minderheit" als "elitär" herauszustellen versucht und alle anderen TransGender, die andere Lebenswege gewählt haben, diffamiert und persönlich abwertet.

Niemand nimmt den Verfassern/Innen des o.g. Appells das Recht, ihre eigene Meinung dezidiert zum Ausdruck zu bringen -- dieses Recht hat allerdings dort seine GRENZEN, wo Meinungsäusserung zur Herabwürdigung anderer führt. Um einseitige Information oder gar Meinungsbildung zu verhindern, melden auch wir uns zu Wort.

TransGenderlife ist eine vor sechs Jahren von Charis Berger *) gestartete Non-Profit-PRIVAT-Initiative mit Sitz in München. Das Anliegen von TransGenderlife war und ist es:
1.) über TransGender-Menschen ALLER "Schubladen" so viel an Information in die Öffentlichkeit zu bringen, wie nur möglich, um endlich Un- und Falsch-Information abzubauen, Vorurteile aufzuheben und die TATSACHE transgender'scher Lebensformen im öffentlichen Bewusstsein ebenso selbstverständlich werden zu lassen, wie schwule oder lesbische Lebensformen,
2.) für TransGender ALLER "Schubladen" eine zentrale Informations-"Börse" zu schaffen. Die über fünf Jahre dazu mit erheblichen privaten Zuschüssen publizierte Zeitschrift "TransGenderlife " musste mit Heft 1/2002 leider eingestelt werden, da die laufenden Defizite aus privaten Mtteln nicht mehr tragbar waren. TransGenderlife als Informations-System stützt sich jetzt weiterhin auf die Web-Seite >www.TransGenderLife.de< und auf den TransGenderlife--NEWSLETTER

Zum o.g. "Appell" merken wir zu den einzelnen Punkten an:

1.) Die neue Bezeichnung "TransGenderGesetz" ist DRINGEND notwendig. Begründung: Es ist DRINGEND nötig, auch für TransVestiten (CrossDresser, DragKings und -Queens usw.) ein MINDESTMASS an rechtlicher Sicherheit und Regelungs-Klarheit zu erreichen (z.B. Ausweis-Recht, Pseudonym-Recht, Behandlung bei Polizeikontrollen, beim Ein-Checken am Flughafen bis hin ins Personenstandsrecht oder auch in die rechtlich völlig unklare Situation bei Beleidigungen usw.) Nirgendwo sonst als in einem neuen TRANSGENDER-GESETZ ist dies sinnvoll und gut aufgehoben.
TransVestismus ist keine "abscheuliche Perversion", auch keine psychische Krankheit, sondern eine in der "Offenen Gesellschaft" durchaus zu tolerierende Lebensform, eine durchaus nicht seltene Veranlagung (in den meisten Fällen), in anderen Fällen vielleicht auch "nur" ein "Hobby" oder eine "Leidenschaft" -- auf jeden Fall ÜBERFÄLLIG für die breite Anerkennung als ein weit verbreiteter menschlicher Zug, der "harmlos" ist und daher nicht verdammens- sondern schützenswert sein muss. TransVestismus gibt es quer durch alle Kulturen und er wird in vielen Kulturen geachtet und sogar geehrt.

2.) Einfachere Formen der Vornamens-Änderung sind dringend nötig
Begründung: Nicht nur reichlich viel "Schindluder" mit Betroffenen, teils durch Gutachter, teils durch Bürokraten, spricht dafür, sondern auch weitere Gründe, als da z.B. sind: Neben der "endgültigen" Vornamens-Änderung sollten auch Möglichkeiten der Vornamens-ERGÄNZUNG stehen (Pseudonym, Künstlername, "Wahl-Vorname"). Ist es schon schwer zu akzeptieren, dass ein Mensch lebenslang mit dem Vornamen rumlaufen muss, den die Eltern aufgestempelt haben, so ist es noch schwerer hinzunehmen, dass ein Mensch, der in sich den starken Drang hat, auch eine Zweit-Person im "anderen" Geschlecht auf Dauer oder nur gelegentlich auszuleben, dafür nicht auch in seinen Papieren einen Zweit- oder Wahlvornamen führen darf.
Die häufig gegenüber TransVestiten höchst diskriminierenden Einstellungen und Behandlungsweisen von Behörden, Polizei usw. (und auch "Öffentlichkeit" und Medien) würden sich höchstwahrscheinlich bei solch einer gesetzlichen Regelung (hoffentlich) endlich grundlegend wandeln -- wenn auch wohl nur allmählich.

3.) Niemand hat das Recht Menschen in eine "eindeutige" sexuelle Zuordnung zu zwingen. Bi-Polarität muss auf alle Fälle als gesetzlich vorgesehene Möglichkeit nicht nur zugelassen, sondern auch GESCHÜTZT werden.
Begründung: Es ist eine nicht hinnehmbare Anmassung seitens der VerfasserInnen des eingangs erwähnten Appells, den Menschen, die sich nicht für eine Eindeutig-Machung ihres Körpers entscheiden, den Schutz eines neuen TransGender-Gesetzes absprechen zu wollen. Es darf in einem neuen TransGender-Gesetz KEIN PLATZ sein für die in einigen TransIdenten-Kreisen gehegte und gepflegte Operations-"Euphorie" (bis hin zum Operations-Meinungsdruck oder sogar zu "Operations-Fetischsmus")
Jeder TransGender-Mensch hat das Recht auf seinen ganz und gar individuellen Weg durchs weite Feld der Möglichkeiten zwischen den eindeutigen Geschlechtern.
-- Das kann der Weg sein "nur" Kleider und Outfit des Wunsch-Geschlechts zu wählen und (so weit als möglich) in der Rolle des Wunschgeschlechts zu leben. Dazu gebührt ihm/ihr dann auch ein Recht auf die Möglichkeit zum Wunsch-Vornamen als Zusatz-Vorname.
-- Das kann der Weg der Hormon-Therapie sein, die eine "optische" Anpassung körperlicher Merkmale an Merkmale des Wunsch-Geschlechts erreicht, und dabei die freie Wahl öffnen MUSS, SELBST zu entscheiden ob Vornamens-Änderung oder nicht, oder ob nur Zusatz-Vorname etc. ....
-- Das kann der heute medizinisch mögliche Weg von Hormon-Therapie und Anpass-Operation mit Personenstandsänderung sein ... Doch auch dieser bedarf DRINGEND der Befreiung von unnötigem Ballast, als da sind: Schikanen von Gutachtern, Schikanen von Krankenkassen, Schikanen von Behörden -- und vor allem bedarf es der Aufhebung der "Zwangs-Scheidung", die einen klaren Verstoss gegen Grundgesetz und Menschenrechte darstellt.
-- Das kann natürlich auch die Entscheidung sein, angeborene InterSexualität im vollen Bewusstsein der Grat-Wanderung zu akzeptieren und zu leben, dann aber auch mit dem Recht der vollen Anerkennung als "intersexuell", ohne zwangsweise Zuordnung in eine der unpassenden Schubladen von "männlich" oder "weiblich". DRINGEND muss der Zustand beendet werden, dass Ärzte und verstörte, oft hilflose Eltern bei Babies oder Kindern über deren Lebens-Schicksal entscheiden. InterSexuelle müssen das Recht bekommen, mit sich entwickelndem Selbst-Bewusstsein, auch SELBST über ihren Lebensweg entscheiden zu können.

Es ist wahrlich ein kaum hinnehmbares Zeichen von Intoleranz (um kein deutlicheres Wort zu wählen), wenn sich eine sehr kleine und auch sehr SPEZIELL indoktrinierte Gruppe von TransIdenten/Innen anmassen will, der breiten VIELZAHL von TransGender-Menschen ihr engmaschiges Vorurteil aufzustülpen.
Ein neues TransGender-Gesetz kann nur dann SINNVOLL sein, wenn es endlich der BREITEN VIELFALT der Natur-Realitäten zwischen hier "Mann" und dort "Frau" Rechnung trägt und dabei den Grundprinzipien einer modernen, freiheitlich denkenden OFFENEN Gesellschaft endlich ebenso Rechnung trägt wie dem Grundgesetz und den Menschenrechten. Aus diesem Aspekt heraus ist die WIRKLICHE NEU-Fassung des überholten und viel zu engstirnigen TransSexuellen-Gesetzes DRINGEND ERFORDERLICH.

Es kann dabei aber NICHT angehen, dass nur ausgewählte wenige Gruppen, vor allem solche, die sich lautstark artikulieren, also nur ein AUSSCHNITT des breiten TransGender-Bereichs, angehört und in die Gesetzes-Formulierung einbezogen werden. Das neue TransGender-Gesetz darf nicht wieder ein reines TransIdenten-Gesetz werden. Der Bezeichnung TransGender muss im Gesetzes-Inhalt und im Gesetzes-Geltungsbereich in VOLLEM UMFANG Rechnung getragen werden.

Bedauerlicherweise gibt es keine verlässlichen Statistiken, die Zahlen zum UMFANG (Vielfalt und auch "Mengen") des TransGender-Bereichs liefern könnten. Im Umlauf sind Zahlen wie etwa diese: Es gibt etwa 10 000 Intersexuelle in Deutschland. Es gibt etwa 80 000 bis 100 000 TransIdente/Innen in Deutschland. Es gibt etwa 2 000 000 tatsächliche oder potentielle TransVestiten in Deutschland (denen bislang weithin jeglicher "Organsiationsgrad" fehlt, die also bislang keine Lobby haben, die vorwiegend ihre gender'schen Grenzgänge im Verborgenen praktizieren). Über TransVestitinnen (DragKings, Butches, "Kesse Väter" etc) liegen unseres Wissens keinerlei Zahlen vor, aber es ist garade bei dieser Gruppe in letzter Zeit eine starke Outing-Bewegung zu registrieren. All diese Menschen haben es verdient und haben ein RECHT, endlich in rechtlich sicherem, menschenwürdigem Rahmen leben zu können.

Bitte sprechen Sie mich gerne an, wenn es darum geht, möglichst BREITE und VIELFÄLTIGE Aspekte des weiten TransGenderBereichs unters Dach des neuen TransGender-Gesetzes einfliessen zu lassen. Soweit es in meiner Macht steht, werde ich gerne bereit stehen, Informationen und ggf. auch Anregungen zu liefern, ggf. zusätzliche Kontakte herzustellen, und ggf. auch zur Meinungsbildung beizutragen.

Mit freundlichen Grüssen:

Charis Berger *)
Charis Berger, Herausgeberin und Chefredakteurin
TransGenderlife -Informations-System für ALLE TransGender

Posted by alex.here at 25. September 2002 12:35
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